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„Am Freitagabend sind meine stressfreisten Stunden der Woche.“

Mi 20.12.2017 09:38
 

Staine-Instruktorin Fränzi Humair im grossen Weihnachtsinterview.

Fränzi, wie bist Du eigentlich zum Trommeln gekommen?

Fränzi Humair: Das weiss ich noch ganz genau. Ich war etwa 4 Jahre alt, da bin ich am Morgestraich auf dem Münsterplatz 3 trommelnden Harlekin begegnet und wusste sofort: Das will ich auch. Allerdings gab’s da ein Problem. Mädchen sollten nicht trommeln – das war damals die Meinung, und mein Vater dachte das auch. Er selber war ein grosser Fasnächtler, hatte unter anderem die Wettstein-Clique mitgegründet, aber er fand, das war nichts für Mädchen.
Bei einer Entrümpelungsaktion bekam sein Böckli und die Schlegel prompt mein Bruder, und ich musste dann immer in sein Zimmer schleichen, um trommeln zu können. Mein Bruder wurde übrigens ein Pfeifer.
Jedes Jahr nach der Fasnacht bestürmte ich meinen Vater, aber lange ohne Erfolg. Es brauchte dann einen Fehler des Setzers der Zeitung, damit ich in eine Clique fand: die Basler Dybli hatten ein Inserat aufgegeben, in dem hätte stehen sollen: „Buebe zum Drummle und Mäitli zum Pfyffe gsuecht“. Der Setzer machte dann irrtümlicherweise „Buebe und Mäitli zum Drummle und Pfyffe gsuecht“ draus, und das war mein Glück, denn nun war der Widerstand meines Vaters endlich gebrochen.
Wir waren ein paar wenige Mädchen, die so zu trommeln begannen, aber ich bin die einzige, die übrig geblieben ist.

Gehört es also zu deiner Persönlichkeit, dass Du Dinge tust, die jenseits des gesellschaftlichen Rahmens liegen?

Ja, definitiv. Ich habe ein „Heutierli-Gen“.

Ein was?

Ein Heutierli-Gen, ich gehe immer dorthin, wo „man“ nicht hingeht, und es ist mir egal, ob „man“
so oder so sein sollte. Ich habe relativ früh Kinder bekommen und dann mit Dreissig Jahren Biologie zu studieren begonnen. Meine Dissertation handelt davon, wie Menschen verschiedene Risiken unterschiedlich wahrnehmen und bewerten. Eigentlich ist es ja so: Es gibt keine objektiv richtigen Risiken. Was früher als Risiko gesehen wurde, ist heute ganz anders. Oder was ich als

Risiko sehe, ist für Dich kein Problem.
Deshalb habe ich auch immer wieder etwas neues in meinem Leben gemacht, weil ich es spannend finde, vorwärts zu gehen und Neues zu entdecken. Der rote Faden durch mein Leben ist dabei eindeutig das Trommeln.

Danke für die Überleitung. Dass Dich Marc Helfenstein unverblümt gefragt hat, ob Du unsere Instruktorin werden willst, entspricht Dir in diesem Fall wahrscheinlich…

Klar, er hat mir geschrieben, er würde mich jetzt einfach fadengerade fragen. Und ich musste laut herauslachen und wusste sofort, dass ich das will.

Ich war diesen Frühling trommlerisch an einem gewissen toten Punkt, ich hatte das Gefühl, ich habe irgendwie schon alles gemacht, bin immer mehr so ein bisschen weg vom Zentrum gekommen, habe hier juriert und bin dort aufgetreten, und ich wollte mich wieder auf etwas fokussieren, aber hatte keine Ahnung, worauf. Die Stainlemer zu instruieren, das war die perfekte Anfrage zum perfekten Zeitpunkt. Denn jetzt kann ich es ja sagen: Wenn ich ein Bube gewesen wäre, dann hätte ich schon als Kind zu den Stainlemern trommeln gehen wollen.

 

Und nun bist Du also Stainlemer-Trommel-Instruktorin. Was kommt Dir nach den ersten Wochen dazu so in den Sinn?
Es war eigentlich so, wie ich das erwartet habe. Ich weiss ja, dass ihr eine grosse Kraft habt, und es entspricht mir, dass euch die Meinung der Anderen egal ist. Ein Costume muss gut sein zum Sujet, und nicht „schön“. Und es ist euch zum Beispiel auch egal, wie jemand am Freitagabend im Keller angezogen ist. Ihr habt Eure Ideen und die lebt ihr. Dabei richtet ihr euch nach den Ansprüchen, die ihr an euch selber habt, unabhängig davon, was andere von euch denken.
Ich hab auch schon mal erlebt, wie nach dem Üben zwei Stainlemer eine Meinungsverschiedenheit hatten. Die Sache wurde ausdiskutiert und gut wars. Nachher sass man wieder zueinander an einen Tisch. Der direkte Umgang entspricht mir, ich find das alles sehr angenehm.
Ich werde euren „braunen Zug“ nie vergessen, wie ihr auf dem Cortège damals auf dem Wettsteinplatz einmarschiert seid, und wenn ich nun manchmal höre, ihr wollt euch selber neu erfinden, dann finde ich aus meiner Sicht, dass ihr das ja bereits tut, indem ihr musikalisch neue Schritte macht – weil IHR das so wollt.

 

Was ist denn Deine musikalische Vision für die Stainlemer?

Euer Sound funktioniert auf der Strasse oft ganz gut. Und mit Euren Noten, die kaum differenzierte Angaben zulassen, wie man etwas trommeln kann, trommelt Ihr oft aus dem Bauch. So ein bisschen „Denn sie wissen nicht, was sie tun“.
Ich möchte mit euch einen Weg gehen, auf dem Ihr verstehen lernt, was ihr tut und wieso ihr es tut, wenn ihr diesen oder jenen Marsch trommelt. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch. Es geht darum, dass ihr eure Kraft gezielt einsetzen könnt. Quasi "Wir sind die Macht – Widerstand ist zwecklos" (grinst).
Es ist ja nicht Zufall, dass ein Marsch so oder eben anders geschrieben ist. Wenn wir uns einen Ueli vorstellen, wie er mit den Glöggli glögglet und herumtanzt und –springt, und diese Bilder in uns mitnehmen, wenn wir den Ueli trommeln, dann können wir den Marsch ganz anders bringen. Aber nochmals: es geht nicht um richtig oder falsch. Mein Ziel ist: „Denn sie wissen, was sie tun.“ Deshalb finde ich es auch hilfreich, wenn wir eure Noten zum Beispiel mit zusätzlichen Dynamik-Angaben ein bisschen aufmotzen, das hilft dann.

Also wie Du in der Übung gesagt hast: Beim Trommeln mehr Musik machen. Ist das bei unserer Meute nicht ein Kamikaze-Unternehmen?

Ich erlebe euch als sehr bereit, neue Schritte zu wagen und überhaupt Neues zu lernen und alte Gewohnheiten in Frage zu stellen. Klar, das ist etwas, das Zeit braucht. Aber es macht mir Spass, diesen Weg mit euch zu gehen. Ich kann dir sagen: die zwei Stunden am Freitagabend und die, eehm…, manchmal fünf Stunden danach in eurem Keller sind die stressfreisten Stunden meiner gesamten Woche.

 

 

Autor: Thierry Moosbrugger

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